Liebende bleiben

Familie braucht Eltern, die mehr an sich denken

Jesper Juul: Liebende bleiben

Von Christine Schniedermann

Kinder sind eine Bereicherung für das eigene Leben. Kinder sind großartig; sie kommen auf lustige Ideen, die Erwachsene sonst längst vergessen hätten. Kinder bedeuten Glück und rührende Momente. Aber Kinder ringen den Erwachsenen auch viel Kraft, Energie und Geduld ab. Der dänische Therapeut und Bestsellerautor Jesper Juul sagt ganz klar: Kindererziehung sei harte Arbeit.

Nach zahlreichen Ratgebern rund um das Thema Erziehung hat er nun ein Buch vorgelegt, in dem es primär um die Situation der Eltern geht. In „Liebende bleiben“ (gerade erschienen im Beltz-Verlag) werden verschiedene Gespräche mit Eltern über die Familien- und Paarsituation dokumentiert. Jesper Juuls Grundthese lautet: Das Beste, was Eltern für ihr Kind tun können, ist, gut auf die Beziehung aufzupassen.

So leicht sich der Rat anhört, so schwer ist er manchmal umzusetzen. Neben der Arbeit, Hausarbeit, Kinder zum Sport fahren, an Schulveranstaltungen teilnehmen, Ausflüge mit Kindern organisieren – wo bleibt da noch Zeit, als Paar allein etwas zu unternehmen? Wie viele Eltern liegen abends geschafft auf dem Sofa und das einzige Gesprächsthema sind Kinder? Worüber haben die Kinder gestritten? Wer begleitet das Kind zum Sportfest am Samstag? Wer ist dran, das Kind am nächsten Morgen in die Kita zu bringen? Und neben den organisatorischen Fragen geht es oft genug um die richtige Erziehung, was schnell zum Streit zwischen den Eltern führen kann. Wie in einem Beispiel aus „Liebende bleiben“: Die fünfjährige Lara hat ständig Wutanfälle. Im Gespräch mit Jesper Juul kommt heraus, dass die Eltern unterschiedlich agieren und sich darüber streiten, wer zu streng oder zu nachgiebig ist. Juul meint, die Wutanfälle der Tochter seien ein Hilferuf, weil sich die Eltern streiten. Jesper Juul ist überzeugt: „Wut ist kein Problem. Wut ist wunderbar.“ Sie zeige auf, dass etwas nicht stimme. Juul erklärt, dass Kinder damit klarkommen, wenn die Eltern unterschiedlich sind: „Akzeptiere, dass dein Partner anders ist als du.“ Man solle sich nicht ständig streiten, wer was richtig oder falsch mache, sondern lieber nach Unterstützung fragen. „Von Eltern, die der Partnerin oder dem Partner mit Empathie und Respekt begegnen, lernen Kinder, dass Menschen verschieden sind und dass das in Ordnung ist.“

In den Gesprächen, die Juul mit den Familien führt, macht er bei allem Alltagsstress und Problemen deutlich, wie wichtig es ist, dass sich jeder bewusst macht, was er wirklich möchte und dass man nicht nur Elternteil, sondern auch Partner ist. Bedürfnisse zu erkennen und zu formulieren sei nicht immer leicht.

Bei Sarah und Maik beispielsweise kommt es oft zu angespannten Situationen. Beide arbeiten daheim und einer ist abwechselnd für die kleinen Kinder zuständig. Sarah schickt die Kinder zum Vater, wenn sie keine Zeit hat oder vertröstet sie. Jesper Juul ist das nicht konkret genug. Er rät: „Sage: „Ich will jetzt nicht mit dir reden oder spielen.““ Denn Jesper Juul meint, Unkonkretes wie „wir spielen später“ erzeuge Gegenwehr, Kinder bräuchten klare Sätze. „Die Kinder erleben das am Anfang als Frustration, aber je konsequenter man sich an eine persönliche und klare Sprache hält, erfahren sie, dass diese Worte sie nicht als Person zurückweisen, denn nach der Rede- oder Kuschelzeit der Eltern sind Mama und Papa ja wieder für es da“, sagt Juul.

Aber auch Kleinigkeiten können die Paarbeziehung dauerhaft belasten. So rät Jesper Juul, keine unausgesprochenen Erwartungen an den Partner zu haben. Wenn man beispielsweise vom Partner erwarte, er solle die Kinder ins Bett bringen, weil man mal eine Stunde Ruhe haben möchte, solle das auch so ausgesprochen werden. Und dann kann der Partner reagieren: er macht es oder nicht. „Diese Verantwortung für seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu übernehmen, ist besonders wichtig, wenn man Familie wird“, sagt der Therapeut.

Das Buch thematisiert neben Streit zwischen Eltern und belastenden Situationen auch Alkoholprobleme eines Partners oder Trennungen. Auch wenn nicht jede Familie die gleichen Probleme hat, so gibt es viele Beschreibungen, die Eltern kennen. „Liebende bleiben“ ist ein sehr guter Denkanstoß auf Juuls gewohnt positive, konstruktive und freundliche Art, sich den eigenen Beziehungsstatus in der Familie genau anzusehen. Jesper Juul rät immer wieder zur Wahrnehmung eigener Bedürfnisse und zur klaren Sprache. Das Buch regt an zu hinterfragen, was man anders machen kann und wo man achtsamer sein könnte, ohne dass der Autor den mahnenden Zeigefinger erhebt. Ob romantisches Dinner zu zweit oder einfach mal den Partner in den Arm nehmen – Jesper Juul ist es ein großes Anliegen, das Paar-sein nicht zu vergessen.

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Liebende bleiben
Familie braucht Eltern, die mehr an sich denken
von Jesper Juul
Beltz
18,95 Euro
ISBN 978-3407864406

Christine Schniedermann Autorin

Christine Schniedermann ist Mutter, freie Journalistin und Autorin

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