Überlebens Muster- Folgen unserer Kindheit
Kolumne
Von Tatjana Strobel
In den nächsten Monaten, werden wir uns mit den sogenannten Überlebens Muster auseinandersetzen, wie diese entstehen, ihre Auswirkungen und Möglichkeiten diese aufzuheben, und welche Rolle dabei die Kindheit spielt.
Aufschieberitis, Perfektionismus und Konfliktvermeidung: Muster begleiten fast jeden Menschen – bewusst oder unbewusst. Meist wird das eigene Verhalten erst dann kritisch hinterfragt, wenn Erschöpfungszustände auftreten, das Leben nicht rund läuft, sich der Betroffene leer und ausgebrannt, fühlt.
Die gute Nachricht: Von negative Verhaltensmuster kann man sich, nach dem Erkennen, entweder alleine, mit den richtigen Übungen, oder mit unterschiedlichen therapeutischen Ansätzen befreien.
In der kognitiven Verhaltenstherapie wird davon ausgegangen, dass Verhalten gelernt wird. Neue Lernprozesse können demzufolge ungünstiges Verhalten verändern. Doch warum lernen wir es überhaupt, wenn es uns schadet? Menschen werden geprägt durch ihre frühkindlichen Erfahrungen. Diese Prägungen sind dann wie eine Programmierung, die das gesamte weitere Leben des Menschen beeinflusst. Aus diesen Prägungen der Kindheit entwickeln die Betroffenen sogenannte Überlebensmuster.
Was in der Kindheit dem eigenen Schutz dient, wird häufig bis ins Erwachsenenalter beibehalten. Der Konflikt dahinter bleibt ungelöst und verursacht auch Jahrzehnte später noch großes Leid. Ein Beispiel dafür ist das Muster „Konfliktvermeidung“. Die davon Betroffenen haben in der Kindheit nicht gelernt, ihre Bedürfnisse zu definieren und Wünsche zu äußern. Aus Angst vor Ablehnung verhalten sie sich den Erwartungen ihrer Mitmenschen entsprechend. Auch wenn das Umfeld die Vermeider als angenehm erlebt, macht dieses Muster auf Dauer kaputt. Es kann zu Depression, Esssucht und anderen Kompensationsmustern führen.
Im Gegensatz dazu werden Menschen mit dem Muster „Kontrolle“ von ihren Mitmenschen als anstrengend und einengend wahrgenommen. Schaffen es Betroffene, ihr Verhalten zu ändern tun sie damit jedoch auch sich selbst etwas Gutes. Viele Kontrollstreber praktizieren eine unglaubliche Selbstdisziplin, um zum Beispiel Kontrolle über die Gesundheit und den Körper zu bewahren. Dies kann soweit gehen, dass der Betroffene hypochondrische Züge zeigt. Hypochondrie ist eine somatoforme Störung, bei der Patient überzeugt ist, unter einer schweren, körperlichen Erkrankung zu leiden, obwohl es keinen objektiven, organischen Befund gibt.
Grundsätzlich, so glaube ich, sind 5 Punkte wichtig, die wir in der Kindheit im Idealfall erleben dürfen, bzw. unseren Kindern mitgeben dürfen. Sobald etwas davon fehlt, entstehen Defizite und daraus resultieren Überlebens Muster, die wir in den nächsten Wochen noch beleuchten werden.
- Liebe
Ein Kind muss in allen Ausprägungen spüren und fühlen, dass es bedingungslos geliebt und akzeptiert wird. Diese zeigt sich in Aufmerksamkeit, Zärtlichkeiten, Nähe, liebevoller, warmer Stimme, wohlwollender Sprache, Interesse und dem Faktor Zeit.
- Individualität
Jeder Mensch ist einzigartig und individuell. Dies sollte auch vom direkten Umfeld so vermittelt werden. Vergleiche, Gegenüberstellungen, den selben Massstab, bei unterschiedlichen Individuen anzulegen, ist schlichtweg ungerecht. Es generiert immer einen Verlierer, bzw. einen Blossgestellten. Schon die eigenen Schwangerschaften zu vergleichen ist unfair, da mein bei der 2. älter, erfahrener ist, in einer anderen Lebenssituation steckt, und bereits weiss, wie eine Schwangerschaft verläuft. Wir vergleichen häufig Birnen mit Äpfeln, und selbst innerhalb der Obstgruppe, ist keine Frucht, wie die andere…
- Ordnung, Stabilität, Sicherheit
Kinder brauchen diese Attribute, auch wenn sie häufig dagegen rebellieren. Es ist wichtig als Erziehungspartner, eine gemeinsame Sprache zu sprechen, Regeln zu haben und diese bei Regelverstoss mit den angekündigten Konsequenzen, durchzuziehen. Das gibt dem Kind Sicherheit und Stabilität. Tägliche Abläufe und Routinen stärken, den jungen Menschen, und geben ihm Gewissheit, Klarheit und innere Ruhe. Immerwährende, Finanzielle Probleme, Existenzängste, können das Kind ebenso belasten, ihm ein schlechtes Gefühl und eine negative Prägung zum Thema Geld verpassen. Er kann beispielsweise glauben, dass es ihm nicht zusteht, reich zu sein, Geld schlecht sei, etc. Und unser Bild ist später entscheidend, was oder wer wir werden! Ein Kind muss beispielsweise wissen, abwägen können, welche Konsequenzen eine schlechte Note hat. Kann es diese nicht einschätzen, weil im Elternhaus, wahllos Zuckerbrot und Peitsche eingesetzt werden, so können Lügen und Vertuschungen die Folge sein. Wird einem Kind im übertragenen Sinne beigebracht, dass man den Griesbrei linkshreumrührt, und am nächsten Tag, dafür gerügt wird, da er jetzt rechtsherum gerührt wird, so entsteht grosse Unsicherheit und Unruhe im Gehirn. Immer gleiche Abläufe, berechen- und einschätzbare Erwachsene geben innere Ruhe und Sicherheit.
- Eigene Erfahrungen machen, eigene Meinung bilden dürfen
Eigene Erfahrungen machen zu dürfen sind überlebenswichtig! Das Kind lernt von seinen physischen Erlebnissen mehr, als vom Hören sagen. Es kann aus den gemachten Erfahrungen, zukünftig seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten besser einschätzen und generiert darüber hinaus, bei «Versagen» neue Lösungskonzepte. Werden einem Kind diese Erfahrungen aus falsch verstandener Liebe, den Nachwuchs zu schützen, verwehrt, so verfügt das Kind im späteren Leben nicht über die Fähigkeit der Lösungskompetenz. Ähnlich verhält es sich mit der eigenen Meinung. Ein Kind darf seine Meinung kundtun, es darf lernen, dass es Teil der Familie, Teil der Gemeinschaft ist. Natürlich bedeutet dass nicht, dass man immer gleicher Meinung ist. Es darf auch konstruktiv diskutiert werden und gemeinschaftliche Lösungen gefunden werden. Wird ihm dies verwehrt, so nimmt man ihm auch im späteren Leben die Stimme, oder prägt das Gefühl, dass seine Meinung nicht wertvoll ist.
- Neugierde bewahren und tägliches Lernen forcieren
Der Mensch ist ein neugierig und wissbegieriges Wesen. Wer sich diese wunderbaren Möglichkeiten des Gehirns zunutze machen möchte, sollte sein Kind spielerisch und mit Leichtigkeit an die spannenden Themen des Lebens heranführen. Tägliches Lernen ist für einen Säugling quasi angelegt. Es erlebt seine Welt und seine Möglichkeiten tagtäglich neu! Die Vorteile des Lernens: das Gehirn bleibt aktiv und baut täglich tausende von neuen Nervenzellen und Synapsen aus. Das Gehirn ist ein Leben lang eine Grossbaustelle, die nie zum Ende kommt, vorausgesetzt, wir sorgen für neue tägliche Impulse. Gleichzeitig, führen wir die Kinder, mit der Vielzahl an Möglichkeiten und Aktivitäten, an vielen Dingen vorbei, um ihre Talente und Fähigkeiten zu finden.
Für mich ist der Mensch, am Ende zufriedener, der sich selbst mit all seinen Fähigkeiten in die Gemeinschaft, seinen Job einbringen und ausleben kann. Zu wissen was man kann, und was einen im gesamten Stärkenmix einzigartig macht, ist Gold wert.
In der nächsten Folge, betrachten wir das Muster der Verdrängung genauer.
Tatjana Strobel