Rituale in der Kindheit
Rituale vermitteln das Gefühl von Sicherheit, Gemeinschaft und Geborgenheit.

Ein Beitrag von Monika Thier
Rituale helfen dabei, bestimmte Situationen und Handlungen eine Gestalt zu geben. Sie unterstützten den zwischenmenschlichen Kontakt und erleichtern Übergänge wie die Aufnahme in der Krippe oder bei der Tagesmutter. Auch die Aufnahme im Kindergarten oder die Zeit der Einschulung sind markante Übergangssituationen in der Kindheit.
Die Veränderungen von Lebenssituationen führen meistens auch zu neuen Rollenanforderungen oder zu zusätzlichen Rollen. Der Platz in der Gruppe muss gefunden, neue Beziehungen müssen geknüpft werden. Das Kind entwickelt ein „Wir-Gefühl“ außerhalb der Familie, findet neue Leitfiguren und Vorbilder. Andere Menschen als die bisherigen Bezugspersonen stellen neue Erwartungen an sein Verhalten und seine Fähigkeiten.
Aber auch Trennungen, Abschiede, Wohnungswechsel oder Sterbefälle sind gravierende Veränderungen, die alle Beteiligten vor ganz besondere Anforderungen stellen.
Bei einem Umzug verliert es vertraute Freunde und muss anderswo mit dem Gefühl umgehen, die oder der Neue zu sein. Nicht zuletzt ist auch die Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit und Tod, ausgelöst durch den Verlust der Großeltern oder andere Familienmitglieder, eines Freundes oder auch eines Haustieres, eine große emotionale Anforderung für ein Kind, bei der es Unterstützung und Begleitung benötigt.
Anspruchsvoll sind auch die Übergangszeiten zwischen verschiedenen Entwicklungsphasen, in denen das Kind seine Identität und Autonomie festigt. Jede dieser prägenden Veränderungen bedeutet vor allem für das Kind eine Zeit verwirrender Emotionen und intensiver Auseinandersetzungen mit der Welt und sich selbst.
Rituale können dazu beitragen, dass Kinder in einer hektischen Welt Ruhe und Frieden erfahren. Sie erleben entspannte Mahlzeiten, stressfreie Spielzeiten und erholsame Ruhephasen. Sie lernen, sich konzentriert Geschichten anzuhören, Bilderbücher zu betrachten oder sich meditierend in einen Ruheraum zurückzuziehen.
Was sind Rituale?
Rituale sind Traditionen und Gewohnheiten, die immer wiederkehren und einem bestimmten Ablauf folgen. Alle Kulturen dieser Welt verfügen über unterschiedliche Rituale die sich unterscheiden.
- Rituale folgen bestimmten Gesetzmäßigkeiten. Sie sind geprägt durch einen festen Ablauf
- die Wahrung einer sich wiederholenden Form, einer bestimmten Abfolge der Handlung,
- bestimmte Regeln,
- vereinfachte, sich wiederholende Verhaltensweisen,
Nachahmung, Einübung und häufig unbewusster Vollzug
Die Meister selbsterfundener Rituale sind zweifellos kleine Kinder. Alle, die mit Kleinkindern zu tun haben, wissen, dass Kinder im Allgemeinen nicht die Abwechslung, sondern die Wiederholung lieben.
Vor allem morgens und abends ist Kindern ihr gewohnter regelmäßiger Ablauf am liebsten. Das morgendliche Trödeln, immer der selbe Umstand beim Anziehen, das unterbrochene Frühstück, alles das, was vor allem berufstätige Eltern sehr nervt, gibt dem Kleinkind Sicherheit, sich allmählich auf den unbekannten Tag einzulassen – „Es ist alles wie gewohnt“.
Auch im Tagesverlauf bestehen Kinder auf einer Vielzahl von Wiederholungen. Derselbe Weg in den Kindergarten, derselbe Spielplatz, dieselbe Anordnung der Plüschtiere, die gleiche Schmusedecke zum Trost und bei Müdigkeit. Besonders abends muss das Abschiednehmen vom Tag und das Alleinbleiben in der Dunkelheit nach strengen Regeln absolviert werden.
Betrachten wir die Situationen, in denen Kinder am vehementesten auf vertrauten Verhaltensmuster bestehen genauer. Wir können feststellen, dass es sich um Momente handelt, die aus dem magischen Weltbild des Kleinkindes heraus als unsicher oder bedrohlich empfunden werden.
Das Kleinkind sucht dann nach Strategien seine Angst zu mildern, Sicherheit zu finden und sich geborgen zu fühlen. Sobald die Wiederholung zur Erfahrung und damit selbstverständlich geworden ist, wird das rituelle Handeln häufig aufgegeben bzw. auf einen anderen Bereich verlagert. So erweitert das Kind nach und nach seinen Lebensraum und seinen Überblick, ohne in seiner Orientierungsmöglichkeit überfordert zu sein.
Rituale in der Erziehung von Kleinkindern (ein Beispiel aus dem Alltag einer berufstätigen Mutter mit ihrem kleinen Kind):
Nachdem Mama mit mir das Bilderbuch angeschaut hat, verabschiedet sie sich von mir und Frau Müller und fährt zur Arbeit.
Zur Verabschiedung bekomme ich einen „Zauberkuss“ der mich tröstet und begleitet, bis Mama mich wieder abholt.
Wenn es Mittagessen gegeben hat (jeden Tag zur gleichen Zeit), dauert es nicht mehr lange, bis ich abgeholt werde.
Wenn es zum Nachtisch Obstsalat gibt, beginnt das Wochenende und ich kann bei Mama und Papa bleiben.
Wenn ich abgeholt werde, nimmt mich Mama in den Arm und dreht sich dreimal mit mir im Kreis. Das machen wir, weil wir uns über das Wiedersehen freuen.
Wenn ich mich von Frau Müller verabschiede, erzählt sie mir, was mir am nächsten Tag Freude machen könnte.
Es ist für uns Eltern und Pädagogen eine große Unterstützung, wenn wir das Kind in solchen Übergängen begleiten können. Die Begleitung setzt sich aus drei Abschnitten oder Phasen zusammen:
1. Vorbereitung – wann immer es möglich ist
Vorbereitung und Einstimmung auf neue Situationen geben dem Kind die Möglichkeit, sich seinen Gefühlen zu stellen und sie im eigenen Tempo zu verarbeiten.
Sollte eine Übergangssituation absehbar sein, kann man diese gemeinsam vorbereiten. Die positiven Aspekte der Veränderung können in den Mittelpunkt gestellt werden.
Wichtig ist, dem Kind zu vermitteln, dass man ihm die Bewältigung der Situation zutraut.
2. Gefühle annehmen, akzeptieren und aufgreifen
Übergänge, Abschiede und Verluste bewirken starke Gefühle, die wahrgenommen werden und ihren Ausdruck finden sollten. Dabei ist es für Kinder besonders hilfreich „Bilder“ für die Gefühle zu suchen, die sie vielleicht nicht benennen und schon gar nicht einordnen können.
Welche Farbe hat deine Wut, deine Trauer?
Welches Tier ist dir besonders nahe, wenn du Angst hast?
Welche Puppe, welches Stofftier kann dich in der Nacht beschützen, wenn es dunkel ist?
Kann Dir die Kette von der Oma helfen, ohne Angst in die Schule zu kommen?
Die Gefühle des betroffenen Erwachsenen spielen für das Kind natürlich auch eine große Rolle. Kinder erspüren sie und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollten. Es ist wichtig, dass Erwachsene mit den Kindern über die eigene Betroffenheit und Gefühle sprechen.
Natürlich muss genau hingesehen werden, welche Information und Gespräche dem einzelnen Kind zugemutet werden können. Auf keinen Fall darf das Kind als Gesprächspartner oder „Tröster“ für den Erwachsenen „missbraucht“ werden.
3. Rituale geben Sicherheit
Geregelte Strukturen sind in Übergangsphasen neben verlässlichen, vertrauten Menschen in besonderem Maße hilfreich. Feste Rituale, die sich nicht ändern und „auf die Verlass ist“, mildern die mit Veränderungen einhergehende Verunsicherung. Auch neue Rituale, die eigens für diese Situation erdacht und dem Kind entsprechend erläutert werden, können Sicherheit geben. Sie zeigen dem Kind, dass man die schwierige Situation erkennt, anerkennt und dass man gut damit umgeht und dementsprechend angemessen handelt.
Noch ein kleines Beispiel zum Abschluss – Der Abschiedsbrief von der Erzieherin/Tagesmutter
Ein wundervolles Abschiedsgeschenk für ein Kind, das die Kita/Krippe/Tagesmutter verlässt, ist ein persönlicher Abschiedsbrief von der Bezugserzieherin oder der Tagesmutter. Der Rückblick auf schöne Ereignisse der vergangenen Jahre und auf gemeinsame Erlebnisse sind darin ebenso gut platziert, wie der Ausblick auf den kommenden neuen Lebensabschnitt mit ermunternden Worten, die das Selbstvertrauen und die Zuversicht des Kindes stärken.
Quellen:
Tandem – „Übergänge und Abschiede bewältigen“ (Herder Verlag)
Zet – Zeitschrift für Tagesmütter und Tagesväter – „Rituale im Alltag“
Hildegard Ressel – „Rituale für den Alltag“ – (Herder-Verlag – 1998)
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Monika Thier unterstützt als Familientherapeutin Eltern im “Erziehungsalltag”. Oftmals ermöglicht eine Erziehungsberatung einen neuen Blickwinkel zu finden und einen Perspektivenwechsel einzuleiten. Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt bei Eltern mit Kindern bis zum 10. Lebensjahr. Als Dozentin bei der Stadt München hält sie Vorträge, gestaltet Elternabende in Kitas und Krippen und arbeitet in der pädagogischen Weiterbildung für Tagesmütter und Tagesväter. Auch als Paartherapeutin steht sie Eltern und Paaren hilfreich zur Seite.
Für KiMaPa stellt Monika Thier in regelmäßigen Abständen interessante Kinderthemen wie Kinderängste oder Stressregulation vor und versucht damit, Eltern bei der Erziehung manche Unsicherheiten zu nehmen.

»Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht der Mensch in seiner individuellen Ganzheit und in seinen Beziehungen. Ich verstehe jede Lebensäußerung als sinnvoll auf ein Ziel gerichtet und im Zusammenhang mit dem Ganzen.«
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