Selbstregulation bei Kindern bis ins Schulalter

oder die Aktivierung der Stressregulationssysteme im kindlichen Gehirn

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Ein Beitrag von Monika Thier

Selbstregulation ist die Fähigkeit eines Menschen, seine eigenen Impulse und Bedürfnisse mit den Anforderungen, die von außen kommen, in Deckung zu bringen. Der erste Schritt dazu ist für den Säugling, die Entwicklung eines Schlaf-Wachrhythmus in den ersten drei Lebensmonaten zu entwickeln. Ein Baby muss lernen, Außenreize „abzuschalten“ wenn es müde ist, damit es einschlafen kann.

Die Psychologin Christine Rankl sagt dazu: „Mit dem Begriff der Selbstregulations – Kompetenz sind wir nicht nur bei einem grundlegenden Faktor in der Entwicklung der seelischen Gesundheit, sondern auch bei einem zentralen Baustein der Fähigkeit, gut zu schlafen“.
Wut, Furcht und Trennungsangst sind bereits bei der Geburt angelegt, um das Überleben des Babys zu sichern. Diese Anlagen sollten früher verhindern, dass das Kind sich in Gefahr bringt, z.B. wie von Raubtieren gefressen zu werden oder sich von den Eltern zu weit zu entfernen. Die Gefahren der modernen Welt haben sich zwar verändert, dennoch können durch alltägliche Ereignisse eine oder mehrere dieser Emotionen im Gehirn des Kindes ausgelöst werden. So kann z. B. mit einer zufallenden Tür das Furcht-System, die Wut, wenn es angezogen wird, die Trennungsangst, wenn die Mutter den Raum verlässt, ausgelöst werden.

Im Alter von sechs bis acht Monaten stellt sich bei einem Baby die Trennungsangst ein, die anhalten kann, bis es fünf Jahre oder älter ist. Schon früh bekommt das Kind Panik, wenn die Mutter außer Sichtweite ist.
Auch hier ist ein Teil des Gehirns auf Überempfindlichkeit programmiert. In frühen Evolutionsstadien war es für ein Junges gefährlich, von seiner Mutter getrennt zu sein. Hätte es nicht geschrien, um seinen Eltern seinen Aufenthaltsort zu signalisieren, hätte es nicht überlebt.
Babys sind deshalb genetisch darauf programmiert nach Trost zu rufen, wenn sie Kummer haben. Das Schreien des Babys ist die Bitte an die Bezugsperson ihm bei seinen überwältigenden Gefühlen und furchterregenden Empfindungen beizustehen, weil sein Gehirn noch nicht genug entwickelt ist, um selbst damit umgehen zu können.

Was passiert, wenn das Baby schreit?
Wenn das Baby auf durchdringliche, verzweifelte Weise schreit, ist sein körperliches Erregungssystem, das autonome Nervensystem, aus dem Gleichgewicht. Dann ist der erregte (oder „sympathische“) Zweig dieses Systems überaktiv, und der ruhige, ausgeglichene (oder „parasympatische“) Zweig ist unteraktiv. Der Körper des Kindes ist auf Aktion, auf „Kampf oder Flucht“ vorbereitet, da eine große Menge Adrenalin freigesetzt wird.

Die drei Gehirne eines Kindes:
Dank der modernen Gehirnforschung konnte erkannt werden, dass jeder Mensch drei Gehirne hat. Manchmal arbeiten die drei Gehirne problemlos koordiniert zusammen, aber oft ist ein Teil dominant. Die Art wie wir unser Kind erziehen und auf es reagieren hat starken Einfluss darauf, welcher Teil des Gehirns am häufigsten aktiviert wird.

Das Reptiliengehirn
Das Reptiliengehirn ist im Innersten gelegen und der älteste Teil des menschlichen Gehirns. Es hat sich im Laufe der Evolution kaum entwickelt. Wir haben diesen Teil des Gehirns mit allen Wirbeltieren gemeinsam. Das Reptiliengehirn aktiviert überlebenswichtige, instinktive Verhaltensweisen und kontrolliert Körperfunktionen wie Hunger, Verdauung, Atmung, Durchblutung, Temperatur, Bewegung, Haltung, Gleichgewicht, territoriale Instinkte, Kampf und Flucht.

Das Säugergehirn
Auch bekannt als emotionales Gehirn oder limbisches System (Amygdala), verfügt diese untere Gehirnregion nahezu über die gleichen chemischen Systeme und Strukturen wie bei anderen Säugern, z.B. Schimpansen. Es löst starke Emotionen aus, die durch das rationale Gehirn gesteuert werden müssen. Es trägt auch zur Kontrolle primitiver Kampf- oder Fluchtreaktionen bei. Das Säugergehirn aktiviert Wut, Furcht, Trennungsangst, Fürsorge und Pflegeverhalten, soziale Bindungen, Spieltrieb, Entdeckerdrang und Lust (bei Erwachsenen).

Das rationale Gehirn
Das rationale Gehirn ist der obere Teil des Gehirns, die Stirnlappen oder der Neokortex. Evolutionsgeschichtlich ist dies der jüngste Teil des Gehirns, der bis zu 85 % der gesamten Gehirnmasse ausmacht und die älteren Reptilien- und Säugeranteile umschließt. Eine emotional tiefe Eltern-Kind-Beziehung hat äußerst positiven Einfluss auf die Stirnlappen des kindlichen Gehirns. Seine Funktionen und Fähigkeiten sind Kreativität, Vorstellungsvermögen, Problemlösungen, logisches Denken, Reflexion, Selbstbewußtsein, Freundlichkeit und Anteilnahme.

Wir als Eltern haben einen großen Einfluss auf die Entwicklung des emotionalen Gehirns unseres Kindes, weil wichtige Wachstumsprozesse des Gehirns in den ersten Lebensjahren stattfinden.

Während der ersten Lebensjahre ist die Rate der Vernetzungsvorgänge sehr hoch. 90% des gesamten Wachstums des menschlichen Gehirns finden in den ersten fünf Lebensjahren statt. Während dieser Zeit werden die Gehirnzellen durch den Einfluss der Lebenserfahrungen eines Kindes und seinen emotionalen Erfahrungen mit seinen Bezugspersonen millionenfach vernetzt, gelöst und neu vernetzt.
Dieser gewaltige „Formungsprozess“ verlangsamt sich ungefähr im Alter von sieben Jahren, weil immer mehr Gehirnzellen von einer Myelinschicht (Schicht aus Fett und Protein, die sich um die Nervenzellen als eine Art Isolierung legen) umgeben sind. Dies ermöglicht eine bessere Kommunikation zwischen den Gehirnzellen und verstärkt und fixiert die Nervenpfade.
Es gibt ein altes Sprichwort des Jesuitenordens das besagt: „Gib mir Dein Kind die ersten sieben Jahre und ich gebe Dir den Menschen zurück.“

Alles was ein Kind mit seinen Eltern erlebt, bewirkt Vernetzungen zwischen den Gehirnzellen seines Großhirns. Das menschliche Gehirn ist so gestaltet, damit es entsprechend seiner speziellen Umgebung sich vernetzt und sich anpasst. Diese Anpassung (Regulation) arbeitet für oder gegen das Wohlbefinden eines Kindes. Deshalb ist die Art, wie Eltern mit ihrem Kind umgehen so wichtig für seine Entwicklung. Aufgrund der emotionalen Reaktionen der Bezugspersonen, knüpfen sich im Gehirn des  Kindes Verbindungen, die es befähigen, später im Leben Stress zu bewältigen, erfüllte Beziehungen einzugehen, mit Wut umzugehen und freundlich und mitfühlend zu sein.

Wir als Eltern müssen lernen, die Säuger- und Reptilienanteile im Gehirn des Kindes zu verstehen.

In den ersten Lebensjahren übernimmt der instinktive Teil des Gehirns Deines Kindes die Führung, weil der rationale Teil noch kaum entwickelt ist.
Im Erziehungsalltag sieht dies folgendermaßen aus: Die emotionalen Systeme und primitiven Impulse des instinktiven Gehirns überwältigen Dein Kind manchmal. Daher seine Wutausbrüche, seine Traurigkeit, sein Schreien. Das sind nicht Unartigkeiten, sondern Äußerungen der Unreife des kindlichen Gehirns. Das rationale Gehirn des Kindes ist noch nicht weit genug entwickelt, um diese massiven Gefühlsausbrüche auf natürliche Weise im Zaum zu halten.

Es gibt einen ganz erstaunlichen Energie- und Informationsfluss von Deinem Gehirn zum Gehirn Deines Kindes und von Deinem Körper zum Körper Deines Kindes (auch bei anderen Bezugspersonen). Dein Gemütszustand und die Vorgänge in Deinen Stirnlappen haben direkten Einfluss auf die emotionalen Schlüsselsysteme im Gehirn Deines Kindes und auf die wichtigsten Erregungssysteme in seinem Körper.

Wird einem Kind mit seinen intensiven Gefühlen und primitiven Impulsen aus dem unteren Gehirnbereich nicht geholfen, entwickelt sein Gehirn keine Pfade, mit deren Hilfe es diese Stresssituationen wirksam steuern kann. Höhere menschliche Fähigkeiten, wie das Empfinden von Betroffenheit, oder die Möglichkeit, sich eigene Gefühle bewusst zu machen, entwickeln sich dadurch auch nicht.
Die Zellen und Pfade im Gehirn werden durch biochemische Stoffe und Hormone aktiviert. Zu den vielen Stoffen, die in der Eltern-Kind-Beziehung wichtig sind, gehören Oxytocin und Opioide. Oxytocin wird bei der Geburt freigesetzt und unterstützt die Mutter-Kind-Bindung. Opioide sind Hormone, die in uns ein Gefühl des Wohlbefindens bewirken. Sie werden ausgeschüttet, wenn ein Kind von einem Elternteil oder einer anderen Bezugsperson liebkost oder in den Arm genommen wird. Um ein Kind bei der Anlage wirksamer Stressregulationssysteme in seinem Gehirn zu unterstützen, ist es notwendig, sowohl im Zustand freudiger Erregung als auch bei emotionalem Schmerz auf es einzugehen. Auch Freude ist ein stressreicher Zustand höchster Erregung. Werden Kinder mit dem Stress der Freude oft allein gelassen, können sie im späteren Leben auf derartige körperliche Erregungszustände mit Angst reagieren (Sexualität).

Wenn Du Deinem Kind bei seinen intensiven Gefühlen beistehst, beginnt eine Vielzahl von Zellen in seinem rationalen Gehirn Pfade zu bilden, die sich mit denen seiner instinktiven Gehirnteilen verbinden. Diese werden Top-Down-Netzwerke oder -Pfade genannt. Mit der Zeit beginnen diese Netzwerke von selbst, die primitiven Impulse der Wut, Furcht oder Sorge des instinktiven Gehirns zu kontrollieren und befähigen das Kind mit der Zeit über seine Gefühle nachzudenken, statt sie auf primitive Art zu entladen (Schreien, Beißen, Schlagen, Weglaufen).

Erhält ein Kind nicht genügend Beistand beim Durchleben seiner intensiven Gefühle, kann daraus im späteren Leben eine Überaktivität der Alarmsysteme seines emotionalen Gehirns entstehen. Es gibt viel Studien die zeigen, dass die Lebensqualität eines Menschen in hohem Maße davon abhängt, ob in der Kindheit gute Stressregulationssysteme im Gehirn ausgebildet wurden oder nicht.

Die Hirnforschung hat nachgewiesen, dass es sehr schwer sein kann ein überreaktives Stressregulationssystem im Gehirn zurückzubilden. Dennoch ist es durch liebevolle, heilende Beziehungen im späteren Leben, durch Beratung oder Therapie möglich, dies zu erreichen.

Quellen:
Ludwig Koneberg: Die sieben Sicherheiten, die Kinder brauchen – Neues aus der Evolutionspädagogik
Margot Sunderland: Die neue Elternschule

www.monika-thier.de

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Monika Thier unterstützt als Familientherapeutin Eltern im „Erziehungsalltag“. Oftmals ermöglicht eine Erziehungsberatung einen neuen Blickwinkel zu finden und einen Perspektivenwechsel einzuleiten. Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt bei Eltern mit Kindern bis zum 10. Lebensjahr. Als Dozentin bei der Stadt München hält sie Vorträge, gestaltet Elternabende in Kitas und Krippen und arbeitet in der pädagogischen Weiterbildung für Tagesmütter und Tagesväter. Auch als Paartherapeutin steht sie Eltern und Paaren hilfreich zur Seite.

Für KiMaPa stellt Monika Thier in regelmäßigen Abständen interessante Kinderthemen wie Kinderängste oder Stressregulation vor und versucht damit, Eltern bei der Erziehung manche Unsicherheiten zu nehmen.

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»Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht der Mensch in seiner individuellen Ganzheit und in seinen Beziehungen. Ich verstehe jede Lebensäußerung als sinnvoll auf ein Ziel gerichtet und im Zusammenhang mit dem Ganzen.«

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